· 

Das Leben Ilvesheimer Flüchtlinge

November 2018

 

Hoffnung

Hoffnung heilt. Sie hilft, Krankheiten zu besiegen, Probleme zu bewältigen und sich Mitmenschen zu öffnen. Das gilt mittlerweile als wissenschaftlich gesichert. Und ist populär, seit medienaffine Mediziner wie Eckart von Hirschhausen ihre Verheißung „Hoffnung ist gut für alles“ unters Volk bringen. Leider schließt dies auch den Umkehrschluss ein: Hoffnungslosigkeit ist schlecht für alles. Wer das Hoffen verlernt, schwächt seine Gesundheit, verliert die Kraft, Probleme zu ertragen, und ist abweisender, ja streitlustiger.“  „Die WELT, 28.11.2017

 

In einer unserer WGs breitet sich momentan eine große Zuversicht aus. Nach jahrelanger Pflicht zur Schule zu gehen und Deutsch zu lernen haben jetzt alle bis auf einen Bewohner der WG Arbeitsplätze gefunden. Einer begann eine Ausbildung in einem kleinen Handwerksbetrieb im September und ist immer noch sehr optimistisch, dass er das auch schaffen wird. Er ist begeistert darüber was er schon alles gelernt hat!

 Sie sind nicht anspruchsvoll wenn es um ein Arbeitsverhältnis geht – Müllabfuhr, Großbäckerei, Lagerarbeit – da ist alles toll. Übrigens auch alles über Zeitarbeitsfirmen.  Aber das sagt einem Flüchtling erst mal gar nichts (schlechtes). Und ein wunderbares Gefühl, seine erste Lohnabrechnung in der Hand zu halten. Und in den Gesichtern dieser sichtbare Stolz, selbst Geld zu verdienen und nicht mehr wie ein „Bettler“ vom Staat ausgehalten zu werden. Fast schon wie ein normaler Mensch. Toll!

 Einer hat geheiratet – in der Moschee. Die standesamtliche Trauung wurde verweigert, da das junge Paar keine Geburtsurkunden vorlegen kann. Trotzdem sind sie glücklich und erwarten diesen Winter Nachwuchs. 

 

Einer ist ausgezogen – unvorstellbar noch vor kurzer Zeit. Er wohnt jetzt in einer WG zusammen mit Studenten und hat dort ein eigenes Zimmer – für sich ganz alleine. Es sind zwar nur 8qm, aber – mit Tür und abschließbar. Traumhaft!

 In dieser Atmosphäre keimt ein Gefühl der Hoffnung auf eine gute Zukunft auf, die ohne gleichen ist und auch auf den einzigen übergeht, der noch keinen Job gefunden hat. Lange kann es ja nicht mehr dauern. Eine Art von „Jetzt geht’s los“ liegt in der Luft. Beeinträchtigt wir das ganze nur durch neue, immer längere, Formulare die jetzt ausgefüllt werden müssen. Und plötzlich geht’s nicht mehr nur um Bürgerdienst, Jobcenter, Sparkasse und Ausländerbehörde, sondern auch zusätzlich(!) noch um Agentur für Arbeit und Finanzamt. Und mal ist das in Heidelberg, mal in Mannheim. Auch für die ehrenamtlichen Helfer: Verwirrend!

 

Apropos „Ehrenamtliche“ – das trauen sie sich jetzt auch zu fragen. „Was ist das? Warum machst du das? Du könntest doch auch ....“ So etwas gibt es in diesen Ländern nicht. Dort hilft man sich, weil man verwandt oder befreundet ist oder weil man Geld damit verdienen will. Auch sehr verwirrend. Für Flüchtlinge. Aber auch für die Ehrenamtlichen, die es mit der Erklärung nicht einfach haben. Oft weiß man es selbst nicht – oder nicht mehr so genau - warum man das alles macht.

 

In einer anderen Wohnung im gleichen Haus wohnt eine Familie die leider nicht von Ehrenamtlichen betreut werden kann. Die Gemeinde leistet für Flüchtlinge auch keine klassische Sozialarbeit, sondern konzentriert sich auf Anliegen, die im Rathaus vorgebracht werden. Für mehr sind keine Kapazitäten vorhanden. Wir haben sie in den letzten Jahren manchmal im Treppenhaus getroffen. 

Die Kinder sind immer  sofort in der Wohnung verschwunden wenn sie uns gesehen haben oder haben sich schutzsuchend an den  Beinen der Mama festgehalten. Diese Zeiten sind jetzt vorbei. Die Mutter spricht einige Worte Deutsch. Sie musste sich immer zu Hause um die Kinder kümmern. Da war keine Gelegenheit vernünftig Deutsch zu lernen. Der Vater - einfach zu alt für die Schulbank, hat kaum etwas im Kurs gelernt und dann auch innerlich aufgegeben. Ist nicht mehr hingegangen und hat sich stattdessen Arbeit gesucht. Immerhin will er der „Ernährer“ der Familie sein. Und das ist er inzwischen auch geworden. Er arbeitet schon seit über einem halben Jahr. Seine große Tochter ist inzwischen im Kindergarten, hat alle Kontaktängste verloren, plappert immer frei drauf los und spricht so gut akzentfreies Deutsch, dass man im Gespräch keinen Unterschied zu Gleichaltrigen feststellen kann. Wunderbar! Und die Brust des Vaters schwillt an vor lauter Stolz wenn wir uns mit seiner Tochter unterhalten. Obwohl er selbst wohl am wenigsten dazu beigetragen hat.

 

In einem anderen Haus: eine Familie aus Syrien, 3 Kinder – das vierte kommt jetzt bald – hat auch eine neue Wohnung gefunden. Der Vater arbeitet schon lange. Sie ziehen jetzt weg aus Ilvesheim. Obwohl sie sich lange eingeschränkt hatten auf den 62qm in der 2 Zimmer Wohnung sind sie jetzt wirklich froh in Zukunft mehr Platz zu haben. Ehrenamtliche haben sie seit langem betreut, der Tochter seit 2 Jahren Lernhilfe gegeben und sich um Frauenarzt und Hebamme gekümmert. Schade für alle, dass sich diese gewachsene Bindung wahrscheinlich jetzt auflöst. Aber die Familie wird es jetzt besser haben und wir können natürlich auch stolz darauf sein, bei den ersten Schritten der Integration erfolgreich geholfen zu haben.

 

 

 

Flüchtlinge erzählen, dass es 3 Dinge gibt, die ihnen in Deutschland die Integration wirklich schwer machen: das Wetter, die Bürokratie und die Nachbarn. Wissenschaftler sagen: Integration dauert mindestens 2 Generationen! Na, da ist ja dann auch noch Zeit für vieles. Und dann ist da auch noch Hoffnung!

 

 

 

Hoffnungslosigkeit

 

„Hoffnung heilt. Sie hilft, Krankheiten zu besiegen, Probleme zu bewältigen und sich Mitmenschen zu öffnen. Das gilt mittlerweile als wissenschaftlich gesichert. Und ist populär, seit medienaffine Mediziner wie Eckart von Hirschhausen ihre Verheißung „Hoffnung ist gut für alles“ unters Volk bringen. Leider schließt dies auch den Umkehrschluss ein: Hoffnungslosigkeit ist schlecht für alles. Wer das Hoffen verlernt, schwächt seine Gesundheit, verliert die Kraft, Probleme zu ertragen, und ist abweisender, ja streitlustiger.“ „Die WELT, 28.11.2017

In Ilvesheim haben sich Schwerpunkte der Hoffnungslosigkeit gebildet, WGs und ganze Häuser in denen Geflüchtete ohne Bleibeperspektive unter sich sind. Durch die Konzentration auf engem Raum breitet sich dort Hoffnungslosigkeit schneller und stärker aus als es nötig wäre. Die „seelische Gesundheit“ der dort Untergebrachten ist in Gefahr und Konflikten jeder Art wird hier eventuell Vorschub geleistet. Momentan breitet sich in diesen Häusern eine „ Atmosphäre von Perspektivlosigkeit“ aus. Arbeiten dürfen die Menschen nicht oder, was viel schlimmer ist, nicht mehr. Für Sprachkurse gab es wenig Zeit und keine staatliche Hilfe. Ehrenamtliche Helfer haben zumindest Grundkenntnisse vermittelt. Sozialverbände hätten geholfen, aber es ist dann an den Fahrtkosten gescheitert. Die Unterstützung von Haupt- und Ehrenamtlichen war und ist eher dünn. Ehrenamtliche kümmern sich oft lieber um Menschen mit guter Bleibeperspektive, am liebsten um Familien, nicht so gerne um alleinstehende junge Männer – und noch weniger, wenn sie damit rechnen müssen, dass ihr Schützling sowieso irgendwann abgeschoben wird. Dabei brauchen gerade diese Seelen etwas, das Halt gibt. Diese Menschen sind zur Untätigkeit verdammt und warten – auf ihre Abschiebung. Diejenigen, die noch arbeiten dürfen und dies auch tun, weisen alle anderen täglich auf ihre negative Zukunft hin. Und so versiegt auch bei ihnen nach und nach der letzte Rest an Optimismus.

 

Besonders Flüchtlinge, die (noch) in einem Arbeitsverhältnis stehen, wünschen sich  sehnlichst ein Einzelzimmer. Sie können nachts nicht durchschlafen, weil Mitbewohner ohne Beschäftigung lauthals diskutieren oder telefonieren. Und so kommt unnötigerweise zur psychischen auch noch eine physische Belastung hinzu.

 In einem anderen Haus finden wir eine Vorstufe davon vor. Sie haben auch eine Ablehnung bekommen, aber der Einspruch ist immer noch nicht entschieden. Sie dürfen arbeiten und haben auch bisher viel in der Gastronomie geschuftet. Aber jetzt ist „Winterpause“. Die befristeten Verträge sind ausgelaufen und der Chef wird sie erst wieder einstellen wenn im Frühjahr das Geschäft wieder langsam anläuft. Die Arbeitslosen haben jetzt Zeit für Besinnung. Ihnen wird bewusst, dass sie eigentlich, obwohl sie alles getan haben was sie konnten, in Wirklichkeit kein Stück weitergekommen sind. Das Ausfüllen von  Formularen nimmt kein Ende. Die Bleibeperspektive ist, ungeachtet der lebensgefährlichen Lage in der Heimat, niedrig geblieben.

 

Immer noch müssen sie zum Kochen in eine andere Wohnung, 2 Stock tiefer gehen. Und neuerdings gehen sie dabei an einer leeren Wohnung vorbei. Eine leere Wohnung in greifbarer Nähe – und trotzdem gibt es nicht mehr Platz für sie.

 

Sie können gut darüber erzählen, denn sie sprechen mittlerweile schon besser deutsch als diejenigen, die vom Jobcenter Deutschkurse „verordnet“ bekommen haben. Beeindruckend wie gut man in einer Restaurantküche deutsch lernen kann.

 

Und dann quält da auch noch die Familie. Sie haben jetzt Geld verdient und könnten Angehörige damit unterstützen. Doch die können mit Geld auch nicht viel anfangen – sie wollen viel lieber Ware. Die Dinge, die es bei Ihnen nicht gibt. Doch wie soll man die verschicken? Wirklich Hoffnungslos!